Gastspiel
Topografie des Imaginären
Kunsthalle Vebikus Schaffhausen
20.10. bis 04.12.2016
Ein Spiel von Linien, verdichtet zu Knoten, Schatten, Körpern, Wolken, Schwärmen prägt das Werk von Esther Amrein. Sie verspinnt kilometerlange Videobänder zu coconartigen Behausungen, bestickt Fotografien mit Mini DV Bändern, fertigt Zeichnungen und Objekte aus Haaren. Die Linie ist bei Esther eine Timeline: wirklicher aber nicht mehr zugänglicher Speicher von Bildern in der Nutzung von Videobändern, Träger von Lebensgeschichten in den Haarobjekten, Abdruck von Zeit und Raum in den Zeichnungen. Die Künstlerin beschloss vor einiger Zeit, ihre Bewegungen im Alltag festzuhalten: während mehrerer Monate ging sie nie ohne ihre Tragtasche mit dem selbst gebastelteten „Movographen“ aus dem Haus. In der Tasche, an einem Pendel, zeichnete ein Bleistift auf einem vorher eingeklemmten Papier die Bewegungen auf. Die vielen hundert daraus hervorgegangenen Blätter in unterschiedlicher Dichte und Liniengestalt sind „ tagebuchartige Aufzeichnungen“, die „Bewegungsimpulse des Körpers sichtbar machen“ . Esther schafft mit dem Movographen Zufallsgebilde, die an Naturereignisse erinnern und Ausdruck einer sinnlichen Körperlichkeit sind. Durch das Mitführen der Tasche zeichnet sie ihre Bewegungen in Raum und Zeit auf und stellt durch die zwischengeschaltete Apparatur die Frage nach der Autorenschaft. Die Kontrolle abgeben kann auch Befreiung sein, Befreiung von inneren Mustern, um dem Zufall, dem Unbekannten Platz zu machen. Diese Faszination überführt Esther Amrein in die grossformatigen Pendelzeichnungen. Sie führt den Stift zwar eigenhändig, doch zappelt dieser eigenwillig an einem mit einem Gewicht leicht beschwerten schlauchartigen Pendel über das Blatt. Es ist als würde Esther den Stift auf einer Reise über das grosse am Boden liegende Blatt begleiten, an einem Ort verweilen, am anderen sich austoben, über einen Berg hüpfen oder sich in der Weite des Himmel in einem Schwalbenschwarm verlieren. Querungen, Überlagerungen, Raster und Liniengeflechte sind denn auch die Basis der im Raum liegenden und hängenden Papierobjekte. Wie auch bei den Stickbildern (Homework) liegt diesen Arbeiten auch eine handwerkliche Komponente zu Grunde. Die als Tuschezeichnung und anschliessend in Papierschnitt gefertigten dreidimensionalen Arbeiten werden von Esther zu Klüngeln und Nestern geformt. Diese liegen als sich zusammenrollende oder auch als aufblühende Körper im Raum, metamorphotische Objekte, bereit, etwas anderes zu werden als sie eben noch waren, schwarze, fragile Träger einer Melancholie der Vergänglichkeit.
Auszug aus der Vernissagenrede von Sadhyo Niederberger